Internationales Kapital im NS-Regime

Zeitzeugen berichten, dass es in Deutschland potenzielle Bombenziele gab, auf die während des Zweiten Weltkriegs (1939-1945) faktisch keine Bombe fiel. Das gilt unter anderem für Industrieareale im Westen von Leipzig, wo sich den Erzählungen nach Firmen befanden, die ganz oder in Teilen Engländern und Amerikanern gehörten. Dass es derlei wirtschaftliche Verflechtungen und Interessen gab, war unter den "Volksgenossen" ein offenes Geheimnis und entspricht auch dem Akten- und Forschungsstand. Inwieweit die angloamerikanischen Anteilseigner letztlich auch Profiteure des nationalsozialistischen Zwangsregimes und des Vernichtungsfeldzuges gegen Slawen und Juden waren, wird bis heute mehr oder weniger heftig diskutiert.

Während sich eine Schrift des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages von 2007 (WD 1 - 134/07) wie eine Aneinanderreihung von Relativierungen liest, hat der britische Ökonom und Historiker Antony Cyril Sutton (1925-2002) bereits 1976 in seinem Buch "Wall Street and the Rise of Hitler" keinen Zweifel an Einflussnahme, Profit und Verstrickung amerikanischer Wall-Street-Banker und Industrieller gelassen. Bemerkenswert ist, dass er den signifikanten Einfluss der Wall Street auch für den offiziellen Counterpart des Nationalsozialismus, den Kommunismus in der Sowjetunion, beschrieb (Wallstreet and the Bolshevik Revolution).

Welche anglo-amerikanischen Firmen waren im NS-Staat tätig? Vorab: 1941 wurden im Deutschen Reich 533 amerikanische Unternehmensbeteiligungen erfasst. Zu nennen sind unter anderem Ford (Automobilhersteller), General Motors als Eigentümer von Opel (Automobilbau), Standard Oil (Mineralölhersteller und Chemiegigant) und IBM über die DEHOMAG, seit 1922 die deutsche Tochter (Lochkartenhersteller, gegr. 1910 in Berlin, basierend auf dem Patent des deutschstämmigen Hermann Hollerith von 1889). General Motors (GM) errichtete in Brandenburg die größte und modernste Lkw-Fabrik Europas, wo der Opel Blitz als eines der kriegswichtigsten Fahrzeuge vom Band lief. In Rüsselsheim stellte Opel Flugzeugteile für Bomber und Jagdflugzeuge her. Die Dehomag produzierte Lochkarten. Die Hollerith-Lochkartenmaschinen dazu kamen von IBM. Mittels der ausgefeilten Technik zur Datenerfassung und Datenauswertung wurden die Häftlinge in den deutschen Konzentrationslagern erfasst. So tragen viele Karteikarten aus den KZs den Vermerk "Hollerith erfasst". Es liegt auf der Hand, dass die Erfassung, der Einsatz und die Vernichtung so vieler Menschen nur durch den Einsatz moderner Technik möglich war. Das gilt auch für die Verwaltung der gewaltigen besetzten Gebiete insbesondere in Osteuropa. Starke Verflechtungen mit den US-Finanz- und Wirtschaftssystem wies auch die IG Farben (Chemieindustrie) auf. Weitere angloamerikanische Unternehmungen und Unternehmensbeteiligungen in Deutschland waren: International Harvester (Landmaschinenbauer, Neuss), Kodak (Fotochemie), Lorenz AG über die International Telephone and Telegraph Corporation, kurz ITT (Telekommunikation, Berlin), Singer Nähmaschinen AG und die AEG (Elektroindustrie).

In der Hand ausländischer Konzerne war jedoch nicht zuletzt die Ölwirtschaft des Deutschen Reiches und damit die Achillesferse jeder modernen Kriegsmaschinerie. Zu erwähnen sind die amerikanische Standard Oil (Esso, Rockefeller-Clan), die britische Anglo-Iranian Oil Company (AIOC, später British Petrol), die Vacuum Oel AG (Ableger der amerikanischen Vacuum Oil Company). sowie die Royal Dutch Shell. Um den Treibstoffnachschub abzusichern, forcierte das NS-Regime die Beschaffung von Rohöl in Österreich und Rumänien (nach 1941 auch in der besetzten Ukraine) und gründete den geheimen IG-Farben-Ableger "Wirtschaftliche Forschungsgesellschaft mbH" (Wifo). Die Wifo baute im ganzen Reich unterirdische Großtanklager für Luftwaffe und deutsches Heer, so unter anderem in Staßfurt. Obgleich sich die Treibstoffbeschaffung während des gesamten Krieges schwer gestaltete, auch weil der Versuch 1942 scheiterte, die Ölfelder im Kaukasus langfristig zu erobern und auszubeuten, folgten diverse Engpässe bis zum Mai 1944 nicht aus den inzwischen schon massiven Bombenangriffen der Briten und Amerikaner auf das Reichsgebiet. Dabei konnten sie die Leuna-Werke, den größten Treibstoffproduzenten im Dritten Reich, schon lange erreichen. Zu entsprechenden Attacken kam es aber erst im Sommer 1944. Mit durchschlagendem Erfolg: Die Produktion in Leuna sank auf acht Prozent. Für Deutschland kam das einem technischen K. O. gleich.

Freilich unternahm die nationalsozialistische Führung alles, um bis zum Kriegsbeginn 1939 die amerikanischen Wirtschaftsaktivitäten im Deutschen Reich unter ihre Kontrolle zu bekommen. Sie wollten und konnten nicht riskieren, dass kriegswichtige Teile der Industrie im entscheidenden Augenblick ausfielen. Die Diskussion hielt bis 1942 an und bewegte sich zwischen parteipolitischer Ideologie und internationaler Diplomatie. Dabei ging es einerseits um die Sorge, deutsches Kapital im Ausland zu verlieren, obgleich das Reich noch eine Rechnung offen hatte mit den USA, die Deutschland über den Dawes-Plan und den Young-Plan und in persona des amerikanischen Finanzgiganten J.P. Morgan während der Weimarer Republik fleißig ausgeplündert hatten.

Der bereits erwähnte Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages schreibt, dass das Verhalten der amerikanischen Industriellen im Wesentlichen aus der Sorge um die immensen Investitionen in Deutschland resultierte. Dass nach dem behaupteten Kontrollverlust noch bis 1944 keine Bomben auf entsprechende Firmen fielen, spricht aber eher dafür, dass das profitable Deutschlandgeschäft auch nach 1939 weiterlief und der Kontrollverlust erst viel später angenommen werden muss. Alle Versuche namhafter Vertreter der US-Wirtschaft und Finanz-Oligarchie, sich von einer Mitschuld an den Verbrechen des NS-Regimes reinzuwaschen, sind daher nur zu durchschaubar. Auch der Hinweis des wissenschaftlichen Dienstes, dass die genannten Unternehmen für die Kriegsmaschinerie in den USA und Großbritannien einen großen Beitrag leisteten und dieser größer war als der in Deutschland, wirkt eher relativierend als aufklärend. Schließlich hatte schon der Baron der Kanonen, Friedrich Krupp, während des Ersten Weltkriegs (1914-1918) mit Waffenlieferungen an alle Kriegsparteien die Gewinnmaximierung über Heimattreue und Moral gestellt. Ein Exempel für die Logik der Profitmaximierung.

Ob und in welchem Umfang die amerikanischen Anteilseigner vom deutschen Wirtschaftsboom im NS-Staat profitierten, ist trotzdem unklar. Sutton zitiert einen Brief des US-Botschafters in Deutschland, William Dodd, vom Herbst 1936, wo dieser unter anderem schrieb, dass International Harvester in Deutschland zwar gute Geschäfte macht, doch keinerlei Gewinne in die USA transferieren kann, auch nicht in Gütern. Auf der anderen Seite wundert sich der Botschafter, dass sich unter anderem Standard Oil und International Harvester so stark zum Vorteil des NS-Regimes engagieren. All das, obwohl Hitler zu der Zeit in Wirtschaftskreisen bereits offen seinen Wunsch kommunizierte, Wirtschaft und Militär bis 1940 kriegsfähig zu machen.

Beim Blick auf die großen Strippenzieher und Profiteure erwähnt Sutton auch das internationale Bankensystem, namentlich die Federal Reserve Bank (USA), die Bank of England, die Banque de France, die Reichsbank (Deutschland) und die Bank for international settlements (BIS, Schweiz, die Bank der Zentralbanken).

Alle Untersuchungen zu dem Thema zeigen, dass vermeintlich nationale Ereignisse im internationalen Kontext gesehen werden müssen. Der Vollständigkeit halber folgen an dieser Stelle mehrheitlich deutsche Unternehmen, die das nationalsozialistische Regime förderten und trugen und von der totalen Ausbeutung der internationalen Arbeiterschaft profitierten. Im deutschen Reich waren unter anderem folgende Unternehmen Unterstützer und Profiteure Hitlers und des NS-Regimes: Borsig (Lokomotivhersteller), Kathreiner (Kaffeeproduzent), Krupp (Stahlproduzent), VEBA (Elektro- und Bergbauunternehmen). Die genannten Firmen waren mehrheitlich Teil der deutschen Rüstungsindustrie und Nutznießer des Zwangsarbeitersystems. An dieser Stelle soll auch erwähnt werden, dass es einige wenige Wirtschaftsgrößen gab, die sich letztlich gegen die Nationalsozialisten stellten. Dazu gehörte unter anderem Fritz Thyssen.

Eine lange Liste von Firmen, die vom Zwangsarbeitersystem profitierten, ist auf der Seite schoah.org zu finden.

Quellen

bundestag.de
Deutschland und die USA in der Internationalen Geschichte des 20. Jahrhunderts: Festschrift für Detlef Junker, herausgegeben von Manfred Berg und Philipp Gassert
Lebenssaft der Wehrmacht, von Dietmar Pieper, Spiegel online vom 28.6.2010
sauber.50webs.com
Wall Street and the Rise of Hitler, Antony Cyril Sutton, 1976

letzte Aktualisierung: 05.11.2021