Wolfen (Sachsen-Anhalt)

Artefakte - Denkmale deutscher Geschichte
Fotos: Martin Schramme | Keine Verwendung der Bilder ohne Nachfrage!
letzte Änderung am 10.08.2022

Mit der Entdeckung von Braunkohle 1846 im Umland der Stadt begann das Industriezeitalter in Wolfen. Der Ort entwickelte sich zu einem Zentrum der Chemieindustrie und machte seit 1909 mit der Filmfabrik deutschland-, europa- und weltweit Schlagzeilen mit bahnbrechenden Entwicklungen wie dem Farbfilm. Dazu gehörte 1936 der erste praktikable Mehrschichtenfarbfilm der Welt, der unter dem Namen Agfacolor bekannt wurde. Den ersten Kino-Farbfilm mit der Agfa-Farbtechnologie hatte das Deutsche Reich 1941 vorzuweisen. Wirklich ausgereift war die Farbfilmproduktion jedoch erst mit dem Farbfilm "Münchhausen", der 1943 in die deutschen Kinos kam. 1945 fiel das Werk in die Hände der US-Amerikaner, die das Farbfilm-Patent beschlagnahmten und ihrem einheimischen Kodak-Konzern zuspielten. Die Filmfabrik wurde schließlich Teil der Sowjetischen Besatzungszone und dort zur Hälfte demontiert und in die Ukraine verbracht, um dort das Farbfilmwerk Nr. 1 der Sowjetunion zu errichten. Derweil lief die Produktion in Wolfen zunächst weiter unter dem Namen Agfa. Nach einem Streit um die Namensrechte musste die DDR einen neuen Namen erfinden, wobei man sich auf das Akronym ORWO (Original Wolfen) einigte. Als Film- und Fotohersteller war ORWO nicht allein in der DDR, hatte aber die Monopolstellung. 1994, also wenige Jahre nach dem Ende der DDR, wurde das Werk zerschlagen. Mit dem Niedergang des Werkes war auch das Schicksal Wolfens besiegelt. Aus einer Stadt mit guter Perspektive wurde ein Armenhaus.

Filmfabrik Wolfen (1909-1994)

Filmfabrik Wolfen, Foto: Martin Schramme 2017 Foto: Martin Schramme, 2017 Foto: Martin Schramme, 2017

In Wolfen wurde 1936 der Farbfilm erfunden (Agfa Color). 1945 übertrugen die US-Amerikaner das Patent an Kodak. Es war ein Patent für die Massenproduktion, denn der erste bekannte, nicht nachträglich colorierte Farbfilm der Welt stammt von dem Engländer Edward Turner, der sich seine additive Methode (Kombination von Bildern in den Farben Blau, Rot und Grün) 1899 zum Patent anmeldete.

Wasserturm im Chemiepark von Wolfen

Wasserturm im Chemiepark von Wolfen, Foto: Martin Schramme, 2017 Foto: Martin Schramme, 2017 Foto: Martin Schramme, 2017

Die Firma Lingesleben aus Halle baute den Turm 1918/19 aus Stahlbeton mit Klinkerblende. Der Turm misst 36 Meter in der Höhe und hat eine Speicherkapazität von 400 Kubikmeter, ist jedoch außer Betrieb. Die einst benachbarte Maschinenhalle stand 1999 noch, 2017 war sie längst abgerissen.

Chemiefabrik in Wolfen

Chemiefabrik in Wolfen, Foto: Martin Schramme, 2017

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Konsum in Wolfen

Konsum-Laden in Wolfen, Foto: Martin Schramme, 2017 Foto: Martin Schramme, 2017 Foto: Martin Schramme, 2017

Noch Ende Mai 2017 erinnerte die Beschriftung "K Körbchen" an ein Land, das sich 1989/90 auflöste: die DDR. Wie es nach der Wende weiterging, zeigten Aufkleber der West-Zigaretten-Marke Marlboro.

DDR-Lokomotive aus dem LKM

DDR-Lokomotive aus dem LKM, Foto: Martin Schramme, 2017 Foto: Martin Schramme, 2017 Foto: Martin Schramme, 2017

VEB Lokomotivbau Karl Marx Babelsberg (1948-1992). 1960 lieferte der Betrieb die letzte Dampflok aus. Der 1950 begonnene Diesellokomotivbau endete 1976. Ebenfalls aus dem LKM in Babelsberg kam die preiswerte Alternative zur Diesellok, die Dampfspeicherlok C, von der noch 2017 ein Exemplar an der Oppenheimer Straße unweit des Chemieparks in Wolfen stand. Die Lok gehörte einst zum Fuhrpark der Filmfabrik Wolfen.

Wasserturm

Wasserturm, Foto: Martin Schramme, 2017 Foto: Martin Schramme, 2017 Foto: Martin Schramme, 2017

Der Wasserturm ist Teil der Siedlung, die in der Zeit zwischen 1918 und 1929 für die Angestellten der benachbarten Filmfabrik entstand. Eine Schmiererei am Turmfüß erinnerte noch im Mai 2017 an ideologische Auseinandersetzungen der 1990er Jahre. Neben der "nazifreien Zone" steht der "Bundeskasper Kohl", gemeint ist Helmut Kohl, der von 1982 bis 1998 Deutschlands Bundeskanzler war.

Betriebe in der DDR
VEB Chemiekombinat Bitterfeld, Betriebsteil Wolfen
VEB Chemieanlagenbau, Produktionsbereich Filmfabrik
VEB Farbenfabrik Wolfen (Produktpalette: Pharmazeutika, Pflanzenschutz und Schädlingsbekämpfung, Riechstoffe, Stickstofferzeugnisse, Primal-Kabinettartikel, Chemikalien, Pelzfarbstoffe, Textilfarbstoffe, Textilhilfsmittel, Wäscheweiß, Pelzfarbstoff Ursol, Farbstoffe für das Färben von Jute und Tauchfärbungen von Krepp- und Seidenpapier, Vinoflex-PC-Lacke für Rostschutzanstriche, Schiffsanstriche, chemikalienbeständige Anstriche, Anstriche für Hart- und Weich-PVC, Wofatit für Wasseraufbereitung, Metallrückgewinnung, Katalyse, Reinigung anorganischer und organischer Lösungen, Pharmazie und Medizin, Analyse, Spezialdünger für Gemüse und Tabak, Fixiersalz, Wofazon-Pastillen, Herbizide und Insektizide aus Wolfen: Mux Insektentod, Sulfex, Wofatox, Azaplant, Hedolit, Wotexit, Tinox, Forbiat, Antirax, Certoxan, Cornex, Dimuxan, Mutoxan, Olpisan, Schabex, Selinon, Primal Haarwäsche, Vorwäsche, Haarkur, Haar-Kurpackung)
VEB Filmfabrik Wolfen (nach 1945 erst SAG "Photoplenka", dann VEB Film- und Chemiefaserwerk AGFA Wolfen, VEB Filmfabrik AGFA und schließlich ORWO, Produkte u.a.: Wolfener Viskose-Darm, Viskose-Schwamm, Alba-Zell Damenbinden, Magnettonband für Rundfunk, Musik, Reportage, Diktafon, ORWO-Computerband, ORWO-Fotopapier, Agfa-Rötgen Duro Film, Röntgen-Tropenentwickler, Dokumentenfilm, Positiv-Sicherheits-Film Kramit Säurekitt, Anti-Farbstichfolien Antipurpur)
VEB Fotochemisches Kombinat Wolfen (seit 1970)
VEB Heizungs-Lüftungs-Rohrleitungsbau Dessau (K), Betriebsteil CKB Wolfen
VEB Industrie-Isolierungen Leipzig, Baust. CKB Wolfen
VEB Industrie- und Kraftwerksrohrleitungen Bitterfeld, Baust. CKB Werk Wolfen
VEB Kistenfabrik
VEB Reintex
VEB Wasserbau
Farbenfabrik Wolfen Abteilung der Sowjetisch-Staatlichen Aktiengesellschaften für Farbstofferzeugung"KRASKA"
Martin Zieger Kolonialwaren Feinkost Wolfen, Leipziger Str. 135
PGH "Bauhütte" Wolfen, Eisenbahnstr. 37
PGH "Gute Fahrt" Wolfen, Ernst-Thälmann-Str. 76
Produktionsgenossenschaft des Malerhandwerks "farbe und raum", Wolfen, Leipziger Str. 116

Im Elementarlexikon des VEB Bibliographisches Institut Leipzig von 1985 (DDR) stand der Hinweis auf die Chemie-Industrie mit den Sparten Filme, Magnetbänder, Farben, Fasern, Dünge- und Pflanzenschutzmittel.

Wirtschaft in Wolfen vor 1945
Actien-Gesellschaft für Anilin-Fabrikation Filmfabrik Wolfen (Agfa-Kaufhaus)
Farbenfabrik Wolfen (seit 1925 Teil der IG Farben)
Agfa AG (Filmfabrik seit 1909)
Paul Birkner Wassermühle und Bäckerei

Abkürzungen:
AGFA = Actien-Gesellschaft für Anilin-Fabrication
ORWO = ORiginal WOlfen
SAG = Sowjetische Aktiengesellschaft (Sowjetunion 1917-1991)
VEB = Volkseigener Betrieb (statt Privateigentum)

Begriffslegende
Viskose-Darm = Kunstfaser-Schlauch, der von der 1863 in Wiesbaden gegründeten Firma Kalle & Co., ursprünglich ein Farbenhersteller, erfunden und seit 1929 produziert wurde.